Sie ist keine gute Führungskraft.
Als Projektleiter taugt er gar nicht.
Das Talent für eine Teamleiterin ist wirklich an ihr vorbeigegangen.
Haben Sie schon einmal solche Sätze gehört oder etwas Ähnliches gedacht?
Immer wieder kommt es vor, dass wir Personen oder uns selbst an Standards messen und zu einem der oben genannten Ergebnisse gelangen.
Aber was bedeutet das eigentlich?
Was ist eine gute Führungskraft und welche Erwartungen werden an mich gestellt, wenn ich mich Führungskraft nenne?
Lassen Sie uns hierzu vielleicht einmal einen Schritt weiter vorne anfangen und darauf schauen, was sich eigentlich dahinter verbirgt, wenn wir zum Beispiel von einer Führungskraft oder von einem Projektleiter sprechen. Schauen wir uns außerdem an, wie es zu Erwartungen kommt, wenn ich einen gewissen Titel trage und wieso Führungskraft Meyer dennoch anders führt als Führungskraft Schmitz.
Exkurs in den Kindergarten: Haben Sie schon einmal beobachtet, wie Kinder zum ersten Mal „Mutter-Vater-Kind“ spielen?
Was passiert da?
Ist es da auch so, dass die Kinder, wie wir, wenn wir ein neues Brettspiel lernen, erst die Spielanleitung wälzen?
Nein, sie wissen ganz genau, was sie in der jeweiligen Rolle zu tun haben.
Sie haben bereits gesehen und beobachtet, was einen Vater ausmacht und wie eine Mutter sich in einer bestimmten Situation verhält.
Genau das lässt sich auch auf unseren Kontext übertragen: Es gibt im Leben verschiedene soziale Rollen, die festlegen, was in welchen Situationen zu tun ist.
Man kann sich das wie ein Skript im Theater vorstellen, was Anweisungen für Handlungsmuster enthält.
Jeder von uns weiß dementsprechend was ein Pizzabäcker tut, wie ein Anwalt agiert und was ein Polizist macht.
Diese Rollen helfen uns also, im Alltag zu wissen, wie wir uns verhalten sollten und was wir von anderen zu erwarten haben.
Werde ich also nun Führungskraft, weiß ich, dass ich gewisse, mit der Rolle verbundene Aufgaben und Funktionen zu erfüllen habe.
Allerdings ist die Sachlage hier nicht ganz so einfach wie es scheint. Ich kann ja schließlich nicht einfach hingehen, das „Rollenskript Führungskraft aufschlagen“ und rigide das tun, was dort als Verhaltensanweisung steht.
Auch wird es Ihnen bestimmt in Ihrer beruflichen Laufbahn bereits so gegangen sein, dass Sie bei Unternehmenswechseln feststellen konnten, dass die Rollen und Rollenanforderungen an eine Führungskraft trotz gleichem Etikett nicht den gleichen Inhalt hatten. So hat zum Beispiel eine Führungskraft im Einzelhandel andere Handlungsskripts als eine Führungskraft in der Versicherungsbranche. Oder nehmen wir ein Beispiel diesmal nicht aus der Berufswelt, so sind die Erwartungen an eine Mutter in Südamerika andere, als die, die wir hier in Deutschland formulieren würden. Gehen wir allein in eines unserer Nachbarländer, würden wir mit anderen Rollenbildern konfrontiert.
Hier wurden von einer über Jahre zusammen arbeitenden oder zusammen lebende Gemeinschaft Anschauungen und Vorstellungen geprägt, wie denn eine Führungskraft oder eine Mutter „zu sein“ und was sie "zu tun" hat.
Deshalb können wir hier von kollektiver Prägung einer Rolle sprechen. Diese kollektive Prägung kann sich generell bei Rollen auf unterschiedliche Ebenen beziehen: z.B. die interkulturelle, die der sozialen Schicht oder die der Herkunftsfamilie. Diese legen sich wie Schichten einer Zwiebel übereinander und entwerfen so alle gemeinsam das Bild der jeweiligen Rolle.
Zurück zu unserer Frage der Rolle der guten Führungskraft: Weiß ich nun also, dass es sich um die Rolle mit der Beschriftung „Führungskraft“ handelt, gilt es, die kollektive Prägung, dieser Rolle näher zu erfassen. Dabei sollte ich zwei Ebenen betrachten:
Schön, nun kenne ich also das sogenannte „Skript“, aber wie authentisch und individuell ist das denn dann noch, wenn ich bloß die Verhaltensweisen abspule, die von einer Führungskraft in Deutschland in diesem spezifischen Unternehmenskontext erwartet werden?
Ja, das ist eine sehr legitime Frage.
Denn wenn alle lediglich wie kleine Roboter die Rollenskripte abspielen, dann fehlt uns die Individualität, das eigentlich Interessante am Zusammenleben.
Deshalb bewegt sich das Ausfüllen einer Rolle immer im Spannungsfeld von kollektiver Prägung und individueller Ausgestaltung. (Moreno, Rollentheorie)
Ich nehme also die kollektiv aufgegriffenen Rollenbeschreibungen und nutze sowohl persönliche Erfahrungen (als Führungskraft selbst oder mit Führungskräften aus der Perspektive des Mitarbeiters) als auch meine eigene Charakterzüge, um die Rolle bestmöglich auszufüllen und sie zu „meiner“ zu machen. Bildlich passt hier vielleicht der Vergleich mit einer Frucht. Das tatsächliche Fruchtfleisch repräsentiert dabei den kollektiven Anteil, während der Kern für den individuellen Part stehen könnte.
Hinzu kommt, dass unterschiedliche Rollen unterschiedlich stark genormt sind. So gibt es beispielsweise bei der Rolle als Krankenschwester klarere Handlungsvorschriften, als zum Beispiel bei einer Freundin, wo es weniger implizite „Vorgaben“ gibt und jeder von uns sehr stark seine eigenen Ideen und Ansprüche einfließen lässt. Oder aber auch die Rolle einer Führungskraft in einer Sparkasse im Vergleich zu der Rolle der Führungskraft in einem jungen dynamischen Start-Up. Diese Normung bezieht sich in unserer Metapher auf das Verhältnis der Größen von Kern zu Fruchtfleisch. Nehmen wir eine Kirsche: hier ist der Kern lediglich sehr klein, also habe ich wenige Freiheitsgrade, die Rolle stark abweichend von den kollektiven Anforderungen auszugestalten. Anders wäre es bei einer Avocado: ein riesiger Kern lässt eine Menge Platz für Individualität, während die kollektiven Erwartungen verhältnismäßig gering ausfallen.
Das bedeutet nun für unsere Eingangsfrage, dass aufgrund der Benennung der Rolle (z.B. als Führungskraft) in meinem Umfeld gewisse Erwartungen geweckt werden, welche durch das kollektive Rollenbild geprägt sind.
Was kann ich nun aber für mich aus all dem als Führungskraft daraus ableiten?
Eintragen und Impluse erhalten.